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JAZZ PODIUM  09.2016

 

jazzpodium neu

CHOICES  06.2016

In Stücke blasen
30. Juni 2016

Das Gerd Dudek Quartett ehrt John Coltrane – Improvisierte Musik in NRW 07/16
Als Gerd Dudek 1960 in Köln zu tun hatte, wo er drei Jahre später im Kurt Edelhagen-Orchester unter Vertrag
kam, fuhr er mit seinem Trompeterkollegen Dusko Gojkovich nach Düsseldorf. Angesagt waren dort Miles Davis,
an dessen Seite damals John Coltrane sein Horn blies, Stan Getz und Oscar Peterson – die Creme im damals
angesagten amerikanischen Jazz. Im Backstage-Bereich traf er dann sogar seinen Helden „Trane“
leibhaftig an der Bar. Gesagt hat Dudek damals nichts, aber er erinnert sich an das folgende Konzert noch sehr
gut. Was haften blieb, nennt Dudek den „Spirit“, der Coltranes Spiel so faszinierend und nachhaltig beseelte.
Zum 50. Todestag seines Helden im nächsten Jahr hat der 1938 in Schlesien geborene Saxophonist eine Hommage
an John Coltrane eingespielt.
Niemand hat wohl auf dem Tenorsaxophon so machtvoll eruptiv geblasen wie dieser, der sich in seiner Entwicklung
bereits vor dem Besuch in Düsseldorf immer mehr von allen Barrieren befreien konnte: Seine Skalen und
Arpeggien, seine Anleihen bei arabischen und indischen traditionellen Musiken überrollten alle Grenzen bis
zum Freejazz – die Musik von Coltrane ist das Gegenteil von Easy Listening, die Intensität fordert den ganzen
Hörer. Sein Mitstreiter in Sachen Freiheit hieß damals Ornette Coleman, ein trotz gleicher Laufrichtung in nichts
vergleichbarer Musiker; er starb erst im letzten Jahr. Ihm zahlte einer seiner ersten Bandchefs eine Gage, wenn
er nicht spielte – so erzählte er selbst. Auch bei Coltrane, dessen Spiel die Fachwelt in jeder Phase faszinierte,
wurden krasse Bilder zur Beschreibung verwendet: Er bearbeite sein Tenor, als „wolle er es in Stücke blasen“.
Und jemand meinte: „Das einzige, was du von John Coltrane erwarten kannst – und erwarten solltest – ist das
Unerwartete.“
Gerd Dudek hat in seiner langen internationalen Laufbahn Parallelen aufzuweisen. Auch er war bei den Pionieren,
als der deutsche Freejazz griff. Sein früherer Wegbereiter Manfred Schoof setzte ihm eine Würdigung ins
Booklet und betont Dudeks Nähe zu Coltrane. Mit Schoof, mit Albert Mangelsdorff und Wolfgang Dauner spielte
Dudek, bereits 1968 reiste er mit den German All Stars nach Südamerika. Im Globe Unity Orchestra fand er
eine Heimat, er spielte international.
Für seine CD konnte er das hervorragende Martin Sasse Trio begeistern, mit dem McCoy Tyner-Fan Sasse am
Klavier, dem Bassisten Martin Gjakonovski und dem Drummer Hendrik Smock. Diese Band produziert unter
dem authentischen rauen Dudek-Sound eine zeitgemäße Reflexion von Lieblingsnummern des amerikanischen
Großmeisters, darunter „Afro Blue“, Gershwins „Summertime“, „Soul Eyes“, Coltranes eigene Komposition „Impressions“
oder die wunderschöne Cole-Porter-Ballade „Everytime We Say Goodbye“. Die Live-Aufnahme aus
dem Loft in Köln spiegelt den reifen Dudek, der sich für diese Hommage nicht sonderlich verbiegen muss – sein
technisch versiertes wie emotional intensives Spiel auf Tenor und Sopran trägt den „Trane“ im Herzen.

CD „out of this world“ | Gerd Dudek 4 | Planet Jazz Cologne – PJC001

OLAF WEIDEN

30.06.2016, 01:51 Uhr | www.choices.de/in-stuecke-blasen | © 2001-2016 berndt media